JESSIE D. EAKER

 

Die Nadel und das Schwert

 

Das plötzliche Lärmen drunten im Burghof ließ Ora von ihrer Stickarbeit aufblicken. Eine jähe Angst verkrampfte ihr den Magen. Es war klar, was das bedeutete: das Hufgetrappel und das Geschrei der Wächter, der Befehl, Frau Trista zu rufen. Doch es konnte nicht so weit sein. Nicht jetzt. Nicht schon wieder! Sie stierte auf die noch nicht recht weit gediehene schwarze Stickerei auf dem roten Gewand. Nun hatte sie erst ein einziges einsames Blütenblatt von dem fertig, was eine schlichte Blume werden sollte. Dass sie nach all den Jahren, mochten ihre Augen auch schlechter geworden sein und ihre Hände etwas zittrig, noch immer das Schlichte so verschönern konnte … Aber es war zu befürchten, dass sie nicht so rasch die Muße fände, diese Arbeit zu Ende zu führen.

Es waren neue Opfer eingetroffen.

So versuchte sie den Lärm zu überhören, der zum Turmfenster hereinschlug, versuchte die Nadel wieder einzustechen. Aber ihre Hand blieb reglos, wie gelähmt, ihre Finger ganz steif und starr. Darauf ließ sie, widerwillig zwar, doch unfähig, dem Impuls zu widerstehen, den Blick über die kahle Wand zu einem schmalen Fensterchen schweifen, von wo das Licht für ihre Arbeit kam. Alles, was sie von ihrem Stuhl aus sah, waren der stille blaue Himmel und ein paar träge Wolken – so ganz das Gegenteil der Unruhe, die ihre Ohren plagte.

Besser, ich seh nicht nach, sagte sie sich. Besser, sie sah sie überhaupt nicht! Also wandte sie sich wieder dem Gewand zu, brachte auch ihre Finger zum nächsten akkuraten Stich – als es unten im Hof einen Aufruhr gab, ein Schmerzensschrei ertönte, dann das Weinen eines Kindes.

»Mutter!«, erscholl der herzzerreißende Schrei eines kleinen Mädchens.

Und im nächsten Augenblick stand Ora schon, Kleid und Nadel in der Hand und mit pochendem Herzen, am Fenster.

Da unten rangen zwei Gefangene mit ihren Bewachern. Die ihr am nächsten stand, war eine junge Frau mit langem schwarzem, zum lockeren Zopf geflochtenem Haar, zerrissener Bluse und verdreckten langen Lederhosen … Eine kampfgewohnte Person, den gestählten Muskeln, die man durch den Riss in ihrem Ärmel sah, und ihrer Haltung nach zu schließen. Sie versuchte sich von ihren zwei Häschern loszureißen, obwohl ihre Arme auf den Rücken gebunden waren, und schrie: »Lasst sie in Frieden!«

Nun bekam sie, mit einer verblüffenden Kraftanstrengung, die eine Schulter frei, fuhr zum zweiten Wächter herum und rammte ihm das Knie in den Unterleib. Doch während der noch zusammenbrach, stürzte sich sein Kumpan von hinten auf sie, um sie zu umklammern. Da ging sie so schnell in Hocke, dass er über sie ins Leere griff, und erhob sich jäh und rammte ihm ihren Schädel unters Kinn, dass Ora hier oben seine Zähne aufeinander krachen hörte. Da brach er auch schon ohnmächtig zusammen …

Lauf! Flieh! rief Ora stumm bei sich. Das Tor ist doch noch offen. So rette dich! Aber die Frau dachte gar nicht daran, sondern stürzte sich auf den anderen Wächter, der das wild sich wehrende Kind von vielleicht acht, neun Sommern hielt. Ora starrte wie gebannt auf die Kleine hinab, die mit ihrem schönen, zarten Gesicht, dem blonden, fast silberhellen Haar wie eine Wiedergeburt ihrer kleinen Elita wirkte, und es schossen ihr bei dem Anblick Tränen in die Augen. Oh, Elita war ja so ein wunderschönes Kind. Und ich habe sie im Stich gelassen. So ganz und gar.

Aber der Wächter reagierte geschickt, schwang das Mädchen zwischen sich und die angreifende Mutter, drehte sich sofort mit und hielt es also wie einen Schild vor sich. In diesem Augenblick umklammerte sie der Kerl, der ihr Knie kennen gelernt hatte, brutal von hinten und riss sie zu Boden, kniete ihr auf ihren Rücken, zog ihr mit grausamem, triumphierendem Lächeln den Kopf am Zopf in den Nacken und setzte dazu an, ihr das Gesicht in den Staub und Schmutz zu rammen.

Nun hätte Ora fast wider ihren Willen geschrien und Einhalt geboten – doch eine schlanke, hoch gewachsene Frau, die eben in den Hof trat, kam ihr zuvor.

»Nein, Alben!«, rief sie in herrischem Ton. »Ich brauche sie ganz.«

Alben sah sich trotzig um, verbiss sich aber, da er sah, wer das war, im Nu sein Lächeln, sprang hastig auf und nahm Haltung an. »Zu Befehl, Frau Trista!«

Doch sie winkte ihn ungeduldig beiseite. »Schön, steh nicht dumm da rum, sondern lass sie mich ansehen!«

Die drei Wächter eilten sich zu gehorchen und präsentierten ihr die Gefangenen. Und selbst das kleine Kind war so klug, sich nicht mehr zu wehren.

Frau Trista wandte sich erst der Mutter zu und musterte sie eingehend.

»Du hast kein Recht, uns gefangen zu halten!«, tobte nun die junge Löwin. »Wir haben nichts verbrochen. Lass uns auf der Stelle gehen, oder meine Kameradinnen nehmen dir deine Burg auseinander, dass hier kein Stein auf dem anderen bleibt!«

Ora hielt den Atem an und betete, um der Gefangenen willen, dass Trista guter Laune sei. Denn die Herrin war eine, sogar für eine Hexe, äußerst empfindliche Frau.

Aber Trista musterte ihre Gefangene bloß so gelangweilt wie belustigt. »Eine Gardistin. Du hast ja wohl das Zeug dazu.« Damit wandte sie sich der Kleinen zu und hob ihr sacht das Kinn, musterte das arme Kind, das mit bebenden Lippen, aber trotzig aufsah, zog dann, als es eine jähe Bewegung machte, die Hand noch rasch genug zurück, um einem Biss zu entgehen, und lachte spöttisch. »Mutig wie seine Mutter und so schön, wunderschön!«, rief sie und warf der jungen Frau einen bedeutungsschweren Blick zu. »Sie kommt ganz nach dir. Ja, du kannst stolz auf sie sein. Jede von euch dürfte nach meinem Bedarf sein.«

Da wollte die Gardistin sich auf sie werfen, wurde aber von den Wächtern zurückgerissen und zurückgehalten. »Ich sagte, lass uns auf der Stelle gehen, oder meine Schwestern …«

Doch Trista fasste sie mit übermenschlicher Schnelligkeit um den Hals, presste ihr die Luft ab und hob sie eine Handbreit hoch, dass sie nur noch wild die Augen verdrehen und röcheln konnte. »Ganz richtig«, fuhr sie ungerührt fort. »Und darum sollten wir dafür sorgen, dass deine Schwestern nicht darauf kommen … zumindest nicht jetzt schon.« Damit lockerte sie den Griff etwas, um der jungen Mutter wieder etwas Luft zu geben, ließ sie aber nicht los.

Nun biss Ora sich auf die Lippe, aus Angst vor dem, was käme. Sie schüttelte den Kopf … was immer Trista androhte – sie täte es diesmal nicht. Ich sticke dieses Muster nicht!

»Dir ist offenbar die Schwere deines Verbrechens nicht recht klar. Auf unbefugtes Betreten meines Landes steht die Todesstrafe!«

Die Frau versuchte, den Kopf zu schütteln, doch Trista hielt sie eisern fest. »Aber ich bin ja fair … Ich werde eine von euch gehen lassen«, sprach sie, grausam lächelnd. »Aber die andere, die bleibt. Mein Körper, siehst du, mag er auch jung erscheinen, hat seine Lebensessenz bald verbraucht. Eine von euch wird ihn mir wieder auffüllen.«

Nun ließ sie die Mutter gehen, und die starrte sie, um Atem ringend, entsetzt an.

Ora fühlte etwas Feuchtes, Klebriges in der Faust – und sah nun, dass sie sich die Sticknadel in die Hand gebohrt hatte.

»Wer von euch soll es also sein? Du oder deine Tochter? Ihr habt bis morgen Zeit, euch zu entscheiden«, rief Trista und schloss mit einem Blick auf ihre Männer: »Schafft sie in den Turm!«

Ora schlug das Herz bis zum Hals, denn jetzt drehte sich ihre Herrin um und sah direkt zu ihrem Turmfenster hoch, und ihr war, als ob sich dieser Blick in ihren Kopf bohrte, und tiefe Abscheu erfüllte sie. »Hallo, Ora«, rief Trista jetzt. »Ich hoffe, du genießt den Anblick!«

Ihrer Zunge und ihrer zitternden Lippen nicht mehr mächtig, sagte Ora sich nur noch stumm: Diesmal tue ich es nicht! Sei tapfer!

Trista grinste böse. »Wie du wohl ahnst, brauche ich wieder die Robe des Lebens. Du erneuerst mir das magische Zeichen bis morgen Abend! Ach, wie ich darauf brenne, meinem Körper neuen Saft und neue Kraft zu geben. Und jetzt hängt das nur von der Schnelligkeit deiner Nadel ab … Mach dich also an die Arbeit!«

Da tat Ora den Mund zum Widerspruch auf, brachte aber nicht ein Wort hervor. Sie schluckte und versuchte, nicht daran zu denken, dass sie für die erste Weigerung teuer bezahlt hatte – ein Bein hatte sie ihr damals zerschmettert. Ich werde es nicht tun!

»Ora! Hast du mich verstanden?«

Die Frau dort droben im Turm neigte den Kopf. »Ja, Herrin!«

 

Ora blieb vor der schwer bewachten Tür stehen, holte einmal tief Luft. Der Wächter warf ihr bloß einen kurzen Blick zu, ignorierte sie dann wieder und starrte stumm geradeaus. Und Ora, das Unvermeidliche hinauszögernd, studierte bemüht die graue Maserung der roh zugehauenen Türbohlen, vermerkte gar bei sich, dass die Türangeln ganz rostig waren. Ach, wie ihr dieser Teil verhasst war … mehr noch als diese Transfusion selbst. Diesmal könnte ich abhauen!

Der Gedanke hätte sie fast lachen gemacht … Wohin abhauen? Sie war zu alt, um sehr weit zu kommen, und selbst wenn ihr das gelänge – Trista würde eben eine andere finden, die ihr die Drecksarbeit erledigte. Außerdem, nach all der Zeit war es vielleicht ein wenig spät für so einen Gesinnungswandel. Sie hatte ihr Schicksal Jahre zuvor besiegelt, als sie noch auf der anderen Seite gewesen war …

So wappnete Ora sich nun, strich sich ihr Kleid vorne glatt und nickte dem Wächter zu. Der hob rasch den dicken Riegel, der die Tür sicherte, und bezog, das Schwert bereit, an der einen Seite Position. Da stieß Ora die schwere Tür halb auf und trat vorsichtig in die kleine Kammer ein … Und die Tür fiel krachend hinter ihr zu.

Die Gefangene stand, mit noch rücklings gefesselten Händen, in der Mitte des Raumes. Stolz stand sie da und starrte die ungebetene Besucherin böse an. Eine Locke ihres Haares, dem Zopf entwischt, hing ihr in die Stirn und bedeckte fast ein Auge … Ora widerstand nur mit Mühe dem Impuls, sie ihr aus dem Gesicht zu wischen, und sah verlegen zur Seite.

»Du kannst dir bestimmt denken, warum ich hier bin«, begann sie, immer noch ihren Blick vermeidend. »Frau Trista wartet auf deine Antwort. «

»Da kann sie warten, bis die Sonne erkaltet!«

Ora schüttelte den Kopf. »Du begreifst wohl nicht, worum es geht … Frau Trista muss alle sieben Winter die Lebensessenz ihres Leibes erneuern. Als Zauberin verbraucht sie sie ja im Nu. Du nimmst ihre Worte also besser ernst. Eigentlich nähme sie lieber deine Tochter, weil die doch länger vorhält. Aber so spielt sie das Spiel nicht. Sie liebt Überraschungen. Und die finden sich nicht so rasch für eine Frau, die schon alt war, als ich, so jung wie du jetzt, sie einst kennen lernte.« Nun versagte Ora die Stimme, musste sie doch an die Umstände jener Begegnung denken und auch an die Entscheidung, die sie damals getroffen hatte. Aber sie schob nun den schmerzlichen Gedanken beiseite, zwang sich in die Gegenwart zurück: »Ihre Zusage, eine von euch gehen zu lassen, war übrigens ehrlich. Sie braucht ja nur eine von euch beiden, und wird die andere darum freilassen. Sie hält ihr Wort, so schlecht und grausam sie auch ist.«

»Und du bist nicht schlecht.«

Ora schloss die Augen und drängte die Tränen zurück, die ihr kommen wollten. »Doch, ich auch«, erwiderte sie entschieden und holte tief Atem. »Ich bin es ja, die dem Opfer ein paar Haarsträhnen abtrennt. Und auch die, die damit das magische Symbol auf der Robe des Lebens stickt. Aber der Unterschied zwischen Trista und mir ist, dass ich weiß, dass ich schlecht bin. Und ich hasse mich dafür. Mein Irrweg begann mit einem einzigen Akt beispielloser Feigheit. Verglichen damit ist jede Untat, die ich seither begangen habe, ein kleineres Übel … Die Göttinmutter wünscht sich sicher, sie hätte nie ein so schlechtes Wesen auf die Erde gelassen!«

Da reckte sich die Kriegerin und trat einen Schritt auf Ora zu. »Wenn ich dich also töte, kann die Hexe ihr teuflisches Werk nicht vollbringen?«

Ora lachte. »So einfach ist es nicht. Nein, dieses magische Symbol kann jede sticken, die halbwegs bei Verstand ist. An mir ist nichts Besonderes … und an dem Muster auch nicht. Trista lässt es mich nur machen, weil sie weiß, dass ich das hasse. Ja, sie selbst gebietet über die Magie und setzt sie erst frei, wenn sie die Robe trägt. Und das Symbol formt die Kraft nur nach ihrem Willen.« Ora seufzte tief. »Wie lautet nun deine Entscheidung, Kriegerin? Wer wird Tristas nächstes Opfer sein, du oder deine Tochter?«

»Darauf erwartest du doch nicht etwa eine Antwort!«

»Gut. Dann lasse ich dir noch ein paar Augenblicke Zeit, es dir zu überlegen«, sprach Ora, machte auf dem Absatz kehrt, klopfte, dem Wächter zum Zeichen, wartete, bis die in ihren Angeln quietschende Tür sich geöffnet hatte – und schob dann noch nach: »Ich gehe jetzt zu deiner Tochter. Soll ich ihr denn irgendetwas von dir sagen?«

»Sag ihr«, erwiderte die Soldatin, und in ihrem todernsten, beherrschten Gesicht zuckte bloß ein Mundwinkel, »sage ihr, ich lasse nicht zu, dass ihr etwas geschieht!«

Ora nickte knapp. »Ich richte es ihr aus.« Aber in Gedanken war sie schon weiter: Sie hat ihre Entscheidung doch längst getroffen –alle Mütter geben mit Freuden ihr Leben für das ihrer Kinder hin. Alle außer mir.

Alle außer mir.

 

Der Wächter vor dem Kerker des Mädchens wirkte bedrückter – als ob er etwas Bitteres gekostet habe. Ora musste ihn nicht einmal ansprechen: Er öffnete ihr die Tür schon, als er sie kommen sah.

Bei ihrem Eintreten fand sie die Kleine auf einer Strohmatte sitzend, die Knie bis zum Kinn hochgezogen, die Haare voller Stroh, die Augen gerötet. Sicher vom Weinen, dachte Ora sich. Das Kind blickte auch auf, als es sie eintreten hörte, sank aber wieder in sich zusammen, als es sah, wer da kam.

»Hallo, Kleine«, grüßte Ora freundlich. »Wie geht es dir denn?«

Aber die Kleine gab keine Antwort und starrte sie bloß mit großen, feuchten Augen an.

Also tat Ora behutsam noch einen Schritt und sagte: »Ich bin Ora und bringe dir Grüße von deiner Mutter.«

Im Nu war das Mädchen auf den Knien und keuchte, das Gesicht vom strahlendsten Lächeln erhellt: »Grüße? Hat sie sonst noch etwas gesagt? Geht es ihr gut?«

Da hatte Ora das Mädchen schon in ihr Herz geschlossen. Was für ein schönes Kind! Genau wie Elita. Und einen Moment lang kehrten die schmerzlichen Erinnerungen wieder zurück: Etwa daran, wie ihre Tochter ihr einst eine schlichte wilde Blume gebracht hatte.

»Ist sie nicht schön, Mutter?«, hatte sie gefragt.

Und eine um so viel jüngere Ora hatte gelacht und sie sich ins Haar gesteckt. »Wunderschön ist sie, so wie du …«

Da rüttelte die Kleine sie am Arm. »Bitte, erzähle mir, was meine Mutter gesagt hat!«

Ora blinzelte, versuchte die Erinnerungen abzuschütteln und rang sich ein Lächeln ab. »Ja, mein Kind, das will ich. Sie sagt, du sollst keine Angst haben, sie lässt nicht zu, dass dir etwas geschieht!« Die Kleine schien das kurz zu überdenken und lächelte dann. »Ja, das ist Mutter.«

»Und es geht ihr gut. Doch sie wird genau wie du gefangen gehalten, in einer Kammer unweit von hier.«

»Kann ich sie sehen?«

Da schüttelte Ora den Kopf. »Tut mir Leid, doch Frau Trista erlaubt das zurzeit nicht. Aber morgen, das garantiere ich dir, wirst du sie sehen. Vielleicht ist dann alles ausgestanden.« Besser gesagt, Frau Trista wird deiner Mutter die Lebensessenz aussaugen, dich aber gehen lassen.

Die Kleine dachte kurz darüber nach und nickte dann.

Und Ora trat vollends zu ihr und kniete sich, mit Mühe und unter Schmerzen, vor sie hin. »Deine Haare sind ja ganz zerzaust, Kind. Darf ich sie dir richten? Ich habe einen Kamm dabei«, fragte sie und setzte sich, als die Kleine langsam, leicht unsicher nickte, zu ihr auf die Matte und nahm sie sich auf den Schoß. Mit einem Schlag kehrten die Erinnerungen an ihr eigenes Kind zurück: Ihr war, als ob es erst gestern gewesen wäre, dass sie Elita gekämmt hatte. So schluckte sie schwer, holte ihren Kamm heraus und machte sich rasch daran, der Kleinen das fast weiße Haar zu glätten, las auch dabei alle Strohhälmchen heraus.

»Du hast so wunderbares Haar, Kind. Es ist fast so weiß wie meines. Aber du bist doch wohl nicht annähernd so alt?«

Die Kleine kicherte. »Ich bin neun Sommer alt. Mutter meint, ich sei etwas klein für mein Alter.«

»Also, mir kommst du gerade richtig vor. Auch meine Tochter war für ihr Alter klein.«

Nun lachte die Kleine wieder auf und lehnte sich weiter in Oras Schoß zurück. Aber ihr Lachen täuschte … in Wahrheit fürchtete sie sich und sehnte sich nach Trost und Nähe – und so brach es denn aus ihr nur so heraus, als sie erst einmal den Anfang gemacht hatte: »Meine Mutter ist Gardistin, und die sind sehr stark und mutig. Manche sagen, sie wird bald eine große Kriegerin sein. Ich habe versucht, mir ein Lied über sie auszudenken, aber mir ist noch nichts Rechtes eingefallen. Kennst du denn Kriegerinnen?«

»Früher kannte ich mal welche«, sagte Ora, zog ein kleines Messer aus ihrer Tasche, fasste eine Haarsträhne dicht überm Ansatz, schnitt sie, ohne dass das Kind es merkte, geschwind ab und steckte sie ein.

»Ja, aber Mutter ist Kriegerin. Und sie sagt, dafür braucht man ganz besondere Qualitäten.«

Ora machte sich wieder daran, ihr die Haare zu kämmen. »Und deine Mutter hat Recht … sehr wenige Frauen schaffen es.«

»Wer war die Kriegerin, die du gekannt hast?«

Ora seufzte. »Jene Kämpferin hielt sich für sehr mutig. Sie focht gegen die Eindringlinge aus Percillis und wurde sogar für ihre Tapferkeit ausgezeichnet, ja, von der Kommandeurin persönlich. Aber sie war keine Gardistin, wie deine Mutter, sondern Söldnerin … und dem Herzog Jarack sehr verbunden. Von dem hast du sicherlich nicht gehört. Er starb lange vor deiner Geburt.«

»Und was war mit ihr? Wurde sie auch Kommandeurin?«

Ora schüttelte betrübt den Kopf. »Nein, diese Kriegerin ist in etwas hineingeraten. Sie hat bei einer Probe versagt, bei der es um Mut und Ehre ging. So kläglich versagt. Danach hat sie dann nicht mehr viel getaugt.«

»Du sagst das so traurig. Du musst sie gut gekannt haben.«

»Ja, allerdings …« So gut, wie man sich selbst kennen kann. Aber ich kann nach all den Jahren immer noch nicht glauben, dass ich das getan habe. Arme Elita – es ist, als ob ich sie mit eigener Hand getötet hätte.

Ora verkniff sich ein paar Tränen und schob die Kleine sacht von ihrem Schoß. »Ich muss jetzt gehen. Aber, soll ich deiner Mutter noch irgendetwas ausrichten?«

»Sag ihr, dass sie mir fehlt.«

Ora nickte, schier von ihren Tränen überwältigt. »Das will ich, ja.«

 

Dann saß Ora auf ihrem Stuhl im Turmzimmer und musterte die fingerdicke Haarsträhne in ihrer knotigen Hand. Ihr entging nicht, dass es dunkler wurde bei ihr, da die Sonne nun schon unter den Horizont sank. Trista beeilte sich besser mit der Robe des Lebens, wenn sie sie bis früh morgens fertig haben wollte!

Sie ließ die Strähne zwischen ihren Fingern hindurchgleiten: Sie fühlte sich angenehm glatt an. Dabei war jedes einzelne Haar wirklich kräftig. Schwarz war es und von der Mutter. Als sie die silbrig weiße Locke ihrer Tochter in Oras Händen erblickt hatte, hatte sie ihren Widerstand aufgegeben – und sich nicht mal dagegen gewehrt, dass sie ihr, als Ersatz für die weiße, eine Strähne abschnitt. Ja, so ging das immer … Die Mütter bangten um das eigene Leben, aber mehr noch, und mehr als um alles andere, um das ihrer Kinder. Diese Mütter waren tapfer … viel tapferer als alle Kriegerinnen. Aber in beiden Gruppen gab es eben auch Verräterinnen.

Ora seufzte und sah zum Fenster. Weshalb hatte sie versagt? Sie konnte sich noch genau an die Zeit, die Jahreszeit, den Tag, ja, an die Stunde erinnern, da sie um eine Entscheidung gerungen hatte. Aber da so viel auf dem Spiel gestanden und sie solche Angst gehabt hatte, war sie wie gelähmt gewesen, ganz und gar entscheidungsunfähig. Und hatte sich durch ihr Nichtstun für das eigene Leben entschieden. So hatte die in dieser Lebensrobe erweckte Magie ihrer Elita dann das Leben ausgesaugt.

Ach, stöhnte Ora und wischte sich eine Träne von der Wange. Sie hätte das nie für möglich gehalten. Hatte es dann jedoch mit eigenen Augen gesehen. Hatte das jämmerliche Weinen des sterbenden Kindes gehört, die grausige kindliche Frische auf Tristas Wangen gesehen. Nein, den Todesschrei ihres kleinen Töchterleins würde sie nie in ihrem Leben vergessen …

Die Zauberin hatte, als alles vorüber war, Wort gehalten und sie aus der Feste geleitet. Und sie, in ihrem Leid und Zorn, hatte sich nach Hause aufgemacht, wild entschlossen, an der Spitze der Truppen ihres Mannes zurückzukehren und Tristas Burg in Schutt und Asche zu legen … Aber die Nachricht vom Tod ihres Kindes war ihr vorausgeeilt, doch so verzerrt und verkehrt: dass sie es vor Wut, weil es sie beim Stelldichein mit ihrem Liebhaber störte, mit eigener Hand erwürgt hätte!

Das war eben die Art von Lüge, die ihr Mann, Herzog Jarack, nur zu leicht glaubte – war doch ihre Beziehung schon immer gespannt gewesen und das Kind das Einzige, was sie verband.

So schäumte er bei dieser Kunde vor Gram und Wut und setzte ein hohes Kopfgeld auf sie aus … das mancher zu verdienen hoffte. Bald sah Ora, nachdem sie drei Anschlägen nur knapp entkommen war und eine Meute von Mordbuben auf ihren Fersen wusste, keinen anderen Ausweg mehr, als sich an den einzigen Ort zu flüchten, an den Jaracks Arm nicht reichte – Tristas Burg.

Ora lächelte bitter. Welche Ironie des Schicksals, dass eben die, die ihrem Kind das Leben genommen hatte, zu ihrer Beschützerin werden sollte. Und so war es gekommen. Nur dass Trista sie nicht als Kämpin hatte gebrauchen können und sie stattdessen in den Feinheiten der Stickerei unterweisen ließ. Und als dann der Tag kam, dass Trista wieder ein Leben für ihres nehmen musste, da war sie, Ora, diejenige gewesen, die das magische Muster stickte … Viel später dann war sie darauf gekommen, dass Trista selbst dieses Gerücht in Umlauf gebracht hatte, um sie zur Rückkehr zu zwingen. Aber da war es zu spät gewesen – denn da hatte Trista Ihr Ziel, sie Zug um Zug zu brechen, schon so weit erreicht, dass sie bloß noch eine müde alte Frau war, die zwar eine Nadel zu führen wusste, aber nicht, wohin sie hätte gehen können.

Ora trocknete sich ihre tränennassen Wangen am Blusenärmel. Sie hatte ihr Schwert gegen eine Nadel getauscht, aus Eisen das eine, aus Bein die andere … aber beide gleich tödlich. Der einzige Unterschied war, dass das Schwert Heim und Herd beschützte, die Nadel aber den Müttern und Kindern das Herz durchbohrte.

Einem plötzlichen Einfall folgend, stand sie auf und legte die Haarsträhne behutsam auf ihren Stuhl. Dann ging sie zu einer alten Truhe, die fast die ganze Wand einnahm, und öffnete sie vorsichtig, hob mit beiden Händen das längliche Bündel heraus, das darin zuoberst lag, und packte aus altem Linnen ihr treues Schwert aus. Wie rostig und blind war die Klinge, und wie schwer: zu schwer, als dass sie sie, wie sie traurig feststellte, auch nur hätte halten können. Gut, sie zwang ihren schwachen Muskeln und knackenden Gelenken »eine Haltung« ab und versuchte so, das Schwert ruhig zu halten – aber dann zitterte es schon und schwankte, krachte klirrend auf die Fliesen … Dabei hatte es eine Zeit gegeben, wo es ihr federleicht erschienen war.

Nun drückte sie die Klinge an ihre Brust. Wenn sie doch nur fortlaufen könnte. Nicht nur von diesem Ort, nein, auch von der Zeit selbst. Zurück zu einer gewissen Entscheidung, sie rückgängig zu machen, das Opfer zu bringen. Ganz sicher war der Tod besser als solch ein Leben.

Sie fuhr hoch – die Tür ihrer Kammer flog krachend auf, und herein trat Trista, gefolgt von den Wächtern, die mit ihren Fackeln die Kienspäne an den Wänden anzündeten, sodass es fast wieder taghell wurde. Da drehte Ora sich, das Eisen noch an die Brust gepresst, langsam nach der Herrin um.

Die stand hoch erhobenen Hauptes, die Robe des Lebens glatt über den Arm gelegt, bei der Tür und musterte sie – bis ihr Blick auf die müde, alte Waffe fiel. »Ich habe dir doch verboten, sie je wieder herauszunehmen!«

Ora verbiss sich eine Antwort.

Da warf Trista ihr barsch das Kleid zu. »Das muss bis morgen früh fertig sein. Hast du nun, was du brauchst? Hast du das Haar bekommen?«

»Ja, Herrin. Es ging, wie es immer geht.«

Trista nickte knapp. »Gut. Vergiss nicht: bis morgen früh!«

Aber Ora, von heißem Jähzorn überkommen, zog einen schiefen Mund und stammelte: »Ich … ich … tue … es nicht …«

Trista fuhr zu ihr herum. »Was hast du gesagt?«, fragte sie, so leise.

Ora reckte sich, straffte die Schultern. »Ich tue es nicht!« Damit warf sie das Kleid zu Boden, hob drohend ihr Schwert. »Das hätte ich schon vor Zeiten tun müssen!«, schrie sie und lief schwerfällig, mit ausgestrecktem Schwert, auf sie los.

Trista trat nur einen Schritt beiseite und packte sie so am Hals, dass sie japste und mit den Zehenspitzen auf dem Boden Halt suchte, derweil ihr Schwert über die Fliesen flog.

»Ist es nicht etwas zu spät dafür«, höhnte Trista grinsend, »solche Gewissensbisse zu hegen? Wie viele Mütter hast du schon da in mich hineingestickt? Sechs … sieben?«, schrie sie und schnaubte verächtlich. »Du bist doch viel zu feige, um mir zu trotzen. Jetzt stick dieses Zeichen!«

Damit ließ sie Ora los, und die sank, nach Atem ringend, zu Boden. Trista aber rauschte zur Tür hinaus, ohne sich auch nur einmal nach ihr umzublicken – und die Wächter folgten ihrer Herrin auf dem Fuß.

Ora kroch zu ihrem Stuhl, zog sich daran hoch. Langsam wieder zu sich kommend, setzte sie sich, Strähne, Kleid und Nadel in den Händen. Trista hatte doch Recht. Sie war feige. Dicke Tränen füllten ihr die Augen … ach, es hatte Zeiten gegeben, da hätte sie nicht so mit sich umgehen lassen. Ja, es hatte Zeiten gegeben, da hätte sie solch einem Teufel wie Trista in die Augen geblickt, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber jene Zeiten waren vorüber. Sie war eben ein Feigling.

Ora zupfte sich aus der Strähne, was sie benötigte. Nur war da ein weißes Haar, mit den anderen verflochten: So wie das Los einer Tochter mit dem ihrer Mutter verflochten war. Die beiden kann man nicht voneinander trennen, und versucht man es doch, mit Gewalt, verletzt man nicht nur die eine, sondern alle beide. Mutter oder Tochter? Es war keine faire Wahl. Sie war bei ihr und Elita nicht fair gewesen und wäre es auch bei diesen beiden nicht.

Dann sah Ora durch ihr Fenster zum dunkler werdenden Himmel auf. Warum zögerte sie diesmal? Warum war es diesmal anders für sie? Vielleicht brauchte es einfach eine Weile, ehe man endlich die richtige Entscheidung treffen konnte.

 

Am nächsten Morgen, zur genannten Zeit, kam ein Wächter, um Ora zu holen. Sie hatte kaum geschlafen, hatte den Großteil der Nacht emsig die Robe des Lebens bestickt … dabei dank Tristas magischem Glühstab auch gut genug gesehen, um diese heikle Arbeit zu Ende bringen zu können.

Das sorgsam gefaltete Gewand über dem rechten Arm, ging sie mit dem Wächter sogleich zum Verlies der jungen Mutter. Die Tochter war auch schon bei ihr. Bei Oras Eintreten blickten beide erstaunt auf. Ora lächelte und verbeugte sich leicht vor jeder.

Nun erschien Trista – sie blieb in der Tür stehen und musterte kurz jeden im Raum. Dann verharrte ihr Blick auf der Robe des Lebens und dem neuen Symbol. Rasch hatte sie die Stickerei ins Auge gefasst, das Weiß der verwendeten Haare bemerkt. Nun trat sie vor und untersuchte sie genau. »Die scheint für diesmal eine Überraschung anzukündigen …«

Ora schluckte und nickte respektvoll. »Ja, Herrin. Durchaus möglich.«

Da gewahrte die junge Mutter das Zeichen und sah beunruhigt auf, starrte Ora aus zusammengekniffenen Augen an. Und wollte sich auf sie stürzen – aber die Wächter hatten aufgepasst und rissen sie zurück.

Süffisant grinsend, sah Trista wieder zu Ora hin. »Gut. Ich liebe Überraschungen.«

Ora lächelte nervös. Nein, wohl nicht, dachte sie. Du lebst schon so lange, dass du alles auf dieselbe Weise machst, und merkst es nicht einmal.

Trista wandte sich zu der Mutter, nahm ihre Hände und sagte lächelnd: »Ich möchte euch beiden dafür danken, dass ihr mir helfen wollt. Ich weiß, dass es eine schwierige Entscheidung war … das sage ich ohne Häme. Ja, ich spreche euch beiden meinen Respekt aus.«

Die junge Mutter versuchte sich auf sie zu werfen, aber die Wächter hielten sie eisern fest.

Jetzt trat Trista zu Ora hin, drehte sich mit dem Rücken zu ihr und mit dem Gesicht zu Mutter und Kind und sprach: »Ora, ich glaube, es ist Zeit.« Und damit langte sie über die Schulter zurück. »Das Kleid!«

»Ja, Herrin«, erwiderte Ora, riss die Robe von ihrem rechten Arm, hob ihr rostiges Schwert und reckte sich, um es Trista in den Rücken zu stoßen.

Doch die witterte die Gefahr, fuhr herum, trat einen Schritt zur Seite, erwischte dabei Oras Arm auf halbem Weg, riss ihr den Arm in einer einzigen schnellen Bewegung herab und brach ihn ihr überm Knie … Ora hörte noch die Armknochen krachen, spürte ihre Finger erschlaffen. Da fing die Hexe schon die Klinge auf, die ihrer Hand entfallen war.

»Du bist immer noch ein Feigling, altes Weib!«, spottete sie. »Versuchst, mich von hinten zu erstechen … Ich weiß nicht, was da über dich gekommen ist. Aber von nun an kann ich dir wohl nicht mehr trauen.«

Damit riss sie ihr das Gewand des Lebens aus der heilen Hand und stieß ihr das Schwert in die Brust.

Ora aber, vom Schmerz erfüllt und in Schmerz gehüllt, griff sich an die Brust, taumelte rückwärts, bis sie an die Wand stieß, rutschte daran herunter, saß dann wie betäubt. Ihre Hände und Füße waren wie Eis, und Trista, die schien ihr so weit, so ganz weit weg. Sie fühlte förmlich, wie ihr Leben ihr entschwand, entglitt. Bitte, Göttinmutter, hilf mir nur noch dieses eine, letzte Mal. Ich flehe dich an!

Durch den Nebel hindurch sah sie Trista lachen und sich die Robe über die Schultern ziehen, das magische Zeichen in die Luft malen, und wie durch Watte hörte sie die magischen Worte, die Worte zauberischer Macht sprechen. »Ich rufe euch Dunkle Eine. Hört meine Worte. Deslead! Leciton! Tropmie!«

Mit jedem Wort wuchs die magische Gegenwart in der Kammer –ein Spannung, die einem eine Gänsehaut verursachte und die Haare zu Berge stehen ließ. Und Ora sah wie aus einem langen Tunnel, wie Trista ihr Zauberwerk vollbrachte … Das ist es, dachte sie, jetzt sterbe ich.

Da fuhr Trista grinsend fort: »Oh, Große Dämonin. Tu genau, was ich sage. Übertrage, durch die vermengten Essenzen des Zeichens auf diesem Gewande, die Lebensessenz von der damit Gesegneten auf die deren Bedürftige!«

Jetzt baute sich, wie bei einem aufziehenden Gewitter, eine Kraft auf, eine magische Spannung, die bald den ganzen Raum erfüllte. Ora hörte das Mädchen weinen, spürte, wie ihr ein kalter Wind am Haar und Kleid zerrte. Schließlich aber, als der Zauber nun stark und mächtig geworden war, erfüllte ein blendend helles Licht die Kammer … Ora hatte kaum noch die Kraft, einen klaren Gedanken zu fassen – das alles hier war sehr weit entfernt …

Plötzlich fühlte sie ein Kribbeln in der Kopfhaut und hörte gleich darauf den Schrei der Verdammten. »Du hast mich hereingelegt …«

Als sich schließlich alles beruhigt hatte, waltete eine so gespenstische Stille, dass Ora sich für einen Moment fragte, ob sie nicht bereits tot war. Aber einen Herzschlag später tauchte die junge Mutter in ihrem Gesichtsfeld auf und – zu Oras größter Erleichterung – auch ihre Tochter, direkt an ihrer Seite. Und hinter den beiden lag eindeutig etwas Asche auf dem Boden, daneben aber, in einem Haufen zusammengeknäult, die Robe des Lebens.

Ora versuchte sich aufzurichten. »Ihr zwei … seid ihr wohlauf?«

Die Mutter nickte. »Und du? Du warst doch … tot. Wie hast du dich geheilt und zugleich die Hexe getötet?«

Ora fühlte sich so gut wie schon seit Jahren nicht mehr. Und ihre Verletzung? Sie sah an sich herab: In ihrer Bluse war, wo das Schwert sie durchbohrt hatte, ein Loch zu sehen, und darum herum war sie nass von Blut. Aber sie selbst war unversehrt! Verdutzt blickte sie wieder die beiden an und sagte: »Ich wollte Trista das Handwerk legen und hatte fest vor, sie zu töten. Doch für den Fall, dass es mir nicht gelänge, sollte euch doch nichts passieren. Deshalb habe ich das Zeichen mit meinen eigenen Haaren gestickt. Damit sie mir das Leben nimmt, nicht einer von euch.« Wieder sah sie an sich herab. »Meine Lebenskraft war durch die Verletzung, die Trista mir beibrachte, wohl schon so ausgelaufen, dass es da nicht mehr viel zu holen gab. So wurde stattdessen ihr genommen, was sie noch besaß, und mir geschenkt. Wie Wasser, das bergab fließt.«

Und die Mutter, wann war sie nur ihre Fesseln losgeworden?, half ihr auf und sagte: »Die Wächter sind geflüchtet, als der Zauber begann. Vielleicht können wir uns verdrücken.«

Ora nickte. »Aber erst will ich sicherstellen, dass niemand sonst diese Robe mehr benutzen kann«, sprach sie, ging eine der Fackeln an der Wand holen und hielt sie an das magische Gewand, und das fing im Nu auch Feuer.

Als Ora noch verfolgte, wie es verbrannte, trat die Mutter zu ihr, räusperte sich und sagte: »Ich danke dir dafür, dass du mir und meiner Tochter geholfen hast … Es tut mir Leid, dass ich dich ›schlecht‹ genannt habe.«

Ora schüttelte den Kopf. »Das braucht es nicht. Du hattest Recht damit. Schlechte Entscheidungen machen dich schlecht! Aber man kann sich immer entscheiden, sich zu ändern, egal, wie viele schlechte Entscheidungen man schon getroffen hat. Es ist nie zu spät.«

Als der letzte Fetzen der Robe zu Asche wurde, trat Ora die übrigen Flammen aus, sah, mit einem Lächeln im Gesicht, auf und schloss: »Bei mir hat es bloß etwas länger gedauert als bei den meisten anderen, bis ich das begriff.«

Silberschwester - 14
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